70 Jahre Bundeswehr: Diesmal ist es die Farce
Es ist ein winziges Detail, das beim Bundeswehrgelöbnis, das das ZDF live übertragen hat, Gruseln auslöst: die Ärmelbänder, die sich auf manchen Uniformen finden. Die gebrochene Schrift, die immer wieder einmal aufblitzt, "Wachbataillon" beispielsweise.
Wäre das so, wäre nicht diese Kriegstreiberei? Vielleicht, vielleicht nicht. Die Ärmelbänder der NVA jedenfalls waren nicht nur grau statt schwarz, sondern auch mit einer serifenlosen Schrift bestickt. Es ist auch nicht so, dass der Auftritt der Bundeswehr in irgendeiner Weise beängstigend wirkte ‒ es erinnerte eher daran, dass am Vortag, am 11. November, traditionell in bestimmten Gegenden Deutschlands der Karneval beginnt. Selbst der Generalinspekteur spart wohl am Schneider, und selbst auf den Aufnahmen von Paraden der DDR-Betriebskampfgruppen sieht man eine bessere Marschordnung.
"Die Debatten waren hitzig, die Proteste lautstark: Viele Menschen sorgten sich, eine Wiederbewaffnung könne die noch junge Demokratie destabilisieren oder eine Wiedervereinigung mit der von den Sowjets besetzten DDR in weite Ferne rücken lassen. Aber am Ende sollten sich die, die skeptisch waren, die starke Zweifel an der Wiederbewaffnung hatten, nicht durchsetzen."
Es war die erste große politische Auseinandersetzung in der noch jungen Bundesrepublik, und sie wurde unter Einsatz aller denkbaren Mittel geführt. Man könnte fast sagen, es war die Phase, die der heutigen Gegenwart am meisten ähnelt ‒ mit Organisations- und Parteiverboten, Verboten von Zeitungen, unzähligen Strafverfahren, oft wegen Lappalien. Und dennoch führte selbst die SPD noch 1954 eine Volksbefragung gegen den NATO-Beitritt durch, der (eigenartigerweise) der Gründung der Bundeswehr vorausging.
Nein, das Datum ist eigentlich falsch. Denn der Vorlauf beginnt bereits viel früher. Schon 1950 stand in den USA der Plan fest, das abgetrennte Westdeutschland wieder mit einer Armee zu versehen. Mit dem klaren Hintergedanken, im Falle einer Konfrontation mit der Sowjetunion nicht US-Truppen, sondern deutsche an die Front zu schicken. Am Anfang der Remilitarisierung ist also die Bundesrepublik für genau die Rolle vorgesehen, die heute die Ukraine erfüllt. Der damalige Bundeskanzler der BRD, Konrad Adenauer, wie auch der SPD-Chef Schumacher stimmen dem sogleich zu. Die Bevölkerung ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nichts von ihrem Glück. Aber der britische Daily Express berichtete im Juni 1951:
"Der deutsche Generalstab, die erbarmungslose Maschine, die hundert Jahre lang europäische Kriege plante, ist zurück."
Und dieses Ergebnis war keineswegs von der Bevölkerung so gewünscht. So fasste der Schriftsteller Bernt Engelmann in seinem Buch "Wir sind wieder wer" die wirkliche Stimmung zusammen:
"Die große Mehrheit der Westdeutschen und fast die Gesamtheit der politisch Interessierten wollten von einer Wiederbewaffnung absolut nichts wissen. Auch vertraten insgesamt 77 Prozent der Bundesbürger in dieser Frage den Standpunkt der sozialdemokratischen Opposition, dass über die Aufstellung einer Bundeswehr weder die Bonner Regierung noch der Bundestag und schon gar nicht die Besatzungsmächte entscheiden dürften, sondern nur eine Volksabstimmung, und über deren Ausgang war kein Zweifel möglich: Zu Beginn der fünfziger Jahre wäre für eine Remilitarisierung in der Bundesrepublik keine Mehrheit zu gewinnen gewesen, ganz gleich, wie man sie den Bundesbürgern schmackhaft zu machen versucht hätte."
Übrigens, so Engelmann, hätten die Besatzungsmächte erst am 16. Dezember 1949 ein Gesetz erlassen, das "jeden Deutschen mit lebenslangem Zuchthaus bedrohte, der es unternahm, für eine Wiederaufrüstung Deutschlands auch nur zu werben".
Wohlgemerkt, diese organisatorischen Vorbereitungen durch das Personal der Hitlerarmee begannen zu einem Zeitpunkt, als offiziell noch die Bestimmungen galten, die die Beschäftigung von Nazis in Behörden untersagten ‒ erst im Jahr darauf, 1951, kam dann Adenauers offizielle Wende und der Artikel 131 des Grundgesetzes, der sie alle wieder in Amt und Würden brachte.
Die Generäle hatten durchaus auch Forderungen hinsichtlich dieser neuen Armee: Sie wollten "eine planmäßige Erziehung des Volks und besonders der Jugend zur 'Wehrbereitschaft' [...] sowie vom operativen Standpunkt aus 'eine Verteidigung möglichst weit östlich und eine offensive Kampfführung'". Da ist sie schon zu hören, die "Vorwärtsverteidigung" der NATO, faktisch Angriffsplanung, die den ganzen Kalten Krieg über die Strategie vorgab.
Engelmanns Beschreibung stellt sehr überzeugend dar, was für eine Armee da gewünscht wurde und dann entstand: "Zwischen den offiziellen Feindbildern von einst und denen des Jahres 1950 gab es nur einen deutlichen Unterschied: Es war nicht mehr, wie früher, von der 'jüdisch-bolschewistischen Weltgefahr' die Rede, die es rücksichtslos abzuwehren galt. [...] Es war nur noch von der 'bolschewistischen Gefahr' die Rede, der durch 'Vorwärtsverteidigung' offensiv zu begegnen wäre". Nun, die Begriffe sind wandelbar, die Richtung bleibt gleich...
Übrigens auch die Techniken. Wie gesagt, diese Beschreibung von Engelmann ist überaus erhellend. "Die von Staatssekretär Otto Lenz gesteuerte Regierungspropaganda verbreitete Angst vor 'den Russen' und diffamierte die Kampagne gegen die Wiederaufrüstung als 'prokommunistisch' und 'von Moskau gesteuert'. Die Organisation einer breiten Unterschriftensammlung wurde von Bundesinnenminister Dr. Robert Lehr als 'Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung' kurzerhand verboten, wiederum mit dem Hinweis auf 'kommunistische Drahtzieher', obwohl zu den Initiatoren auch Lehrs Amtsvorgänger Dr. Gustav Heinemann und zahlreiche andere angesehene Persönlichkeiten zählten, die zweifellos keine Kommunisten waren."
Ja, diese Verfahren liefen, während es sich Kriegsverbrecher und Massenmörder wieder auf den Amtssesseln bequem machten und keinerlei Strafverfolgung mehr fürchten mussten.
"Am Ende sollten sich die, die skeptisch waren, die starke Zweifel an der Wiederbewaffnung hatten, nicht durchsetzen."
Es gibt diesen alten Satz von Marx: "Hegel bemerkt irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce."
Die ganze Rhetorik rund um die Wiederbewaffnung, auch das aggressive Vorgehen gegen jeden Widerspruch, erinnert sehr an das heutige Deutschland, wirkt fast wie die Blaupause. Aber die Truppe, die da heute durch das ZDF stapfte, erinnert bestenfalls an die sächsische Armee vor dem Ersten Weltkrieg, wie sie Ludwig Renn in "Adel im Untergang" beschrieb. Jeder Schritt sieht aus, als fehlte irgendetwas. Dafür wurde beflissen darauf geachtet, genug Frauen, Schwarze und Asiaten in der Truppe zu zeigen. Wenn Verteidigungsminister Pistorius schon von der "Bundeswehr der Vielfalt" redet.
Nein, diese Armee wurde gegen die Bevölkerung geschaffen, und auch, sehr zur Freude Konrad Adenauers, gegen die deutsche Einheit. Die Bundeswehr wurde geschaffen, damit Deutsche gegen Deutsche kämpfen, denn das erste Schlachtfeld der "Vorwärtsverteidigung" wäre die DDR gewesen. Sie hat keine Demokratie verteidigt; um sie entstehen zu lassen, wurde das, was es in der Bundesrepublik an Demokratie gab, auf Jahre hinaus vergiftet.
Und heute? Nach der Beteiligung an der Bombardierung Belgrads, an der Besetzung Afghanistans? Nachdem die andere militärische Tradition, die es auch gab in Deutschland, die von jenen geprägt wurde, die gegen die Hitlerwehrmacht gekämpft hatten, ausgelöscht wurde? Heute, wo wieder die jetzt nicht einmal mehr bolschewistische Bedrohung durch die Russen beschworen wird und abermals jede Abweichung "von Moskau gesteuert" ist?
Findet man sich wieder an einem altbekannten Punkt, nur dass dieser letzte Aufguss einer deutschen Armee an den Uniformmantel von Generalinspekteur Carsten Breuer erinnert, dem man so sehr einen Schneider wünschen würde. Bei aller ernstgemeinten Leidenschaft für Verfolgung und Kriegstreiberei ‒ es bleibt eben doch die Farce.